Mit großer Freude haben wir am 19. Oktober 2023 das
30-jährige Bestehen unseres Frankreichzentrums gefeiert.
Anlässlich des Jubiläums haben wir mit einigen unserer Partner auf die Errungenschaften und Herausforderungen der letzten Jahrzehnte zurückgeschaut sowie zukünftige Tendenzen der deutsch-französischen Zusammenarbeit diskutiert.
Das Frankreichzentrum der Universität Leipzig ist das zweitälteste der Bundesrepublik und das älteste in den neuen Bundesländern. In den vergangenen drei Dekaden konnte es sich als Akteur in der Frankophonieforschung und Vermittler zwischen der deutsch-französischen Gemeinschaft und der Universität etablieren. Neben der Verankerung der französistischen Forschung im ostdeutschen Raum unterstützt das Zentrum auch akademische Arbeiten zum französischsprachigen Nordamerika und Afrika.
Europa und die Welt – das Frankreichzentrum Leipzig als Vermittler
Der Prorektor für Campusentwicklung und ehemalige Direktor des Frankreichzentrums, Prof. Dr. Matthias Middell, eröffnete den Abend mit einem Festvortrag zum Thema „Europa und die Welt – das Frankreichzentrum Leipzig als Vermittler“. Dabei gab er Einblicke in die Geschichte des Zentrums, zu dessen Gründern er gehört. Als Ausgangspunkt kann dabei die erste deutsch-französische Sommeruniversität gelten, die 1993 auf Initiative der Französischen Botschaft in Leipzig stattfand.
Zu Beginn des Jahres 1994 wurde das Frankreichzentrum ein Teilzentrum des neu gegründeten Zentrums für Höhere Studien der Universität Leipzig. Zur deutsch-französischen Sommerschule, die jährlich in Kooperation mit dem Institut français ausgerichtet wurde, kamen ab dem Wintersemester 1996/97 der interdisziplinäre Magister-Nebenfachstudiengang „Frankreich-Studien“ sowie verschiedene Formate der interdisziplinär und international ausgerichteten strukturierten Doktorandenausbildung. Das Zentrum beheimatete außerdem verschiedene Forschungsprojekte und Publikationsreihen wie die Zeitschrift „Grenzgänge. Beiträge zu einer modernen Romanistik“ und die Deutsch-Französische Kulturbibliothek „Transfer“ (Leipziger Universitätsverlag, 30 Bände).
Matthias Middell erinnerte an die vielen Impulsgeber und Mitstreiter, deren Engagement am Frankreichzentrum über dreißig Jahre hinweg eine "Abfolge gut gescheiterter innovativer Projekte" ermöglichte. Sie trugen dabei durchaus erfolgreich dazu bei, interdisziplinäre und internationale Forschung und Lehre an der Universität Leipzig zu stärken und weiterzuentwickeln.
Trotzdem musste das Frankreichzentrum seine Aktivitäten nach und nach einstellen – der Studiengang lief ab 2005 aus und die letzte Sommeruniversität fand 2009 statt. Erst 2014 gelang die Wiedergründung des Zentrums, mit der an die Impulse aus der Pionierarbeit der ersten 15 Jahre angeknüpft werden konnte: Weiterhin liegen wichtige Schwerpunkte des Zentrums in der Verbindung der Frankophonie- mit der Globalisierungsforschung, in der Kulturtransferforschung sowie der transnationalen Promotionsausbildung. Diese werden u.a. im von der Deutsch-Französischen Hochschule geförderten deutsch-französischen Doktorandenkolleg „Kulturtransfers“ weitergeführt, das seit 2023 in Kooperation mit der École normale supérieure (ENS-PSL) in Paris organisiert wird.
Vergangenheit, Wandel und Zukunft der Internationalisierung am Beispiel von Frankreich
Im Anschluss an den Festvortrag diskutierten Prof. Dr. Jay Rowell, Direktor des Centre Marc Bloch in Berlin, Prof. Dr. Klaus Bochmann, Professor i.R. für Romanische Sprachwissenschaft sowie Mitgründer und langjähriger Leiter des Leipziger Frankreichzentrums, Dr. Marjorie Berthomier, Generalsekretärin der Deutsch-Französischen Hochschule sowie Dr. Kathleen Schlütter, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Leipziger Research Centre Global Dynamics unter der Moderation unserer stellvertretenden Direktorin Dr. Antje Dietze über Vergangenheit, Wandel und Zukunft der Internationalisierung am Beispiel von Frankreich und der Frankophonie.
Klaus Bochmann berichtete aus der Gründungs- und Aufbauzeit des Frankreichzentrums. Die Neustrukturierung der Universität Leipzig nach 1989/90 war verbunden mit Bemühungen, die Internationalisierung der Hochschule zu stärken, wobei das Frankreichzentrum eine wichtige Rolle spielte. Dies geschah auch mit Blick auf das Erbe der Aufklärungsforschung von Werner Krauss oder der Revolutionsforschung von Walter Markov und teils in Anknüpfung an bereits seit langem bestehende Kontakte in die frankophone Welt. Aufbauend auf diese universitären Vernetzungsbestrebungen, so betonte Klaus Bochmann, könne die Auseinandersetzung mit Frankreich früh als Labor für Interdisziplinarisierungsbestrebungen gesehen werden.
Kathleen Schlütter berichtete von ihren Erfahrungen als Absolventin der Frankreich-Studien sowie aus ihren Forschungen zu den Strukturreformen im französischen Wissenschaftssystem unter Jacques Chirac und Nicolas Sarkozy, die zu einem stärkeren Fokus auf globalen Wettbewerb und Internationalisierung geführt und die deutsch-französische Zusammenarbeit erweitert und erleichtert haben.
Jay Rowell und Marjorie Berthomier reflektierten über die gemeinsamen Herausforderungen und die Zusammenarbeit der deutsch-französischen Vermittlungsinstitutionen. Das Leipziger Frankreichzentrum, das Centre Marc Bloch und die Deutsch-Französische Hochschule sind alle in den 1990er Jahren gegründet worden und feiern ihre 25- bzw. 30-jährigen Jubiläen. Sie entstammen einer intensiven Phase der Institutionalisierung von deutsch-französischem Austausch im Hochschulbereich und haben neue Generationen von Forschenden, Lehrenden und Wissenschaftsmanagern hervorgebracht. Gemeinsam reflektierte das Podium darüber, wie sich Strategien und Formen der Internationalisierung in den letzten 30 Jahren gewandelt haben.
Von Anfang an haben disziplinübergreifende Ansätze im interkulturellen Austausch eine wichtige Rolle gespielt – nicht nur am Leipziger Frankreichzentrum, sondern auch am Centre Marc Bloch. Ein transdisziplinärer Ansatz ergebe sich in der deutsch-französischen Kooperation automatisch, erklärte Marjorie Berthomier, da die Grenzen der Forschungsgebiete in den Ländern unterschiedlich verlaufen.
Die Zukunft deutsch-französischer Wissenschaftsvermittlung
Die Ausweitung von Forschung und Kooperationen über das „couple franco-allemand“ hinaus spielt in den Internationalisierungsstrategien eine immer wichtigere Rolle. In Leipzig und Berlin sind dabei die Beziehungen nach Ost- und Südosteuropa und die Vermittlung zwischen Ost und West von besonderer Relevanz. Im Rahmen von Frankophonieforschung und transregionalen Studien wurden außerdem neuere Impulse aus der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Kolonialismus und seinen Folgen aufgenommen, die sich u.a. in einer neuen Initiative zur Provenienzforschung am Centre Marc Bloch ausdrücken. Auch für die DFH stellt die stärkere Einbeziehung von Drittländern und die Kooperation mit den europäischen Universitätsallianzen wichtige Öffnungsperspektiven bereit.
Als weiteren wichtigen Aspekt der Internationalisierung diskutierte die Runde die Stellung des Französischen als Wissenschaftssprache und die Bedeutung von Mehrsprachigkeit in Studium und Wissenschaft. Sie machte darüber hinaus deutlich, dass auch wenn die Internationalisierung der Hochschulen in den letzten 30 Jahren in beeindruckender Weise vorangeschritten ist, deutsch-französische Vermittlungsinstitutionen weiterhin unverzichtbar bleiben. Sie setzen für diese Austauschprozesse wichtige Impulse, stellen das Wissen und Know-how dafür bereit und sichern die kontinuierlichen Aushandlungen zwischen unterschiedlichen Vorstellungen, Praktiken und Strukturen ab, ohne die das Alltagsgeschäft der Internationalisierung nicht funktionieren würde.
Wir bedanken uns herzlich bei den Teilnehmenden und Gästen und hoffen, auch in den nächsten Jahrzehnten – hoffentlich ohne Unterbrechung – produktiv zusammenzuarbeiten!
26. Februar 2024